Nachfolgend dokumentieren wir die Rede unseres Vorstandsmitglieds Maria Kanitz auf der Gedenkveranstaltung des Bezirksamts Pankow von Berlin am 6. Oktober 2024:
Sehr geehrter Herr Dr. Herrmann Simon, sehr geehrte Frau Dr. Koch, sehr geehrte Damen und Herren,
um ehrlich zu sein, kann ich nicht glauben, dass wir heute hier stehen und auf das schreckliche Massaker von vor einem Jahr schauen und gleichzeitig noch über 100 Menschen in den Fängen der Terrororganisation Hamas sind. Dass wir 1 Jahr später, immer noch darüber sprechen müssen, dass sie nach Hause kommen müssen, während gleichzeitig global der Antisemitismus immer radikaler, ja immer ungehaltener wird. Dass 1 Jahr später, die Ayatollahs als Freiheitskämpfer gefeiert werden, während Jüdinnen und Juden seit 365 Tagen keinen einzigen Moment hatten, um inne halten, trauern, ja vielleicht sogar zur Ruhe kommen zu können.
Der 7. Oktober 2023 ist eine Zäsur. Eine Zäsur die sich in das kollektive Gedächtnis von Jüdinnen und Juden weltweit eingebrannt hat. Eine Zäsur, die uns alle etwas angeht. Wenn ich hier heute spreche, dann denke ich nicht nur daran, wie ich am 7. Oktober 2023 morgens aufwachte, auf mein Handy schaute, erstarrte und mir sofort mit meinem Partner darüber einig war, dass es diesmal etwas anderes ist. Dass der Angriff auf Israel sich von allem unterscheidet, was wir in den letzten Jahren gesehen haben. Dann denke ich nicht nur daran, wie wir umgehend alle unsere Freundinnen und Freunde in Israel kontaktierten, um sicher zu gehen, dass sie zumindest körperlich unbeschadet sind. Nein, wenn ich heute hier spreche, als Vertreterin des Freundeskreises Pankow-Ashkelon e.V., dann denke ich auch daran, wie sich der 7. Oktober und seine Folgetage auch für uns als Verein auswirkten. Denn zu dieser Zeit befanden sich mehrere Jugendliche aus Pankow auf einer Jugendaustauschreise in Ashkelon. Wer sich mit dieser kleinen Küstenstadt, unserer Partnerstadt, einmal auseinandergesetzt hat, weiß, dass sie soweit südlich liegt, dass es regelmäßig zu Beschüssen aus dem Gaza-Streifen kommt. Sofort war uns als Verein klar, dass wir mit allem was wir können unterstützen müssen, nicht nur um die Kinder aus Pankow wieder nach Hause zu bekommen, sondern auch um unsere Freundinnen und Freunde in Ashkelon zu unterstützen. Die nächsten Tage waren also gespickt mit intensiven Absprachen, kommunikationsketten, Presseanfragen, dem Sammeln von Spenden und vor allem dem Mut zu sprechen an Peter Wissmann, der mit den Jugendlichen vor Ort war und dank dem alle Kinder wieder gesund nach Hause gekommen sind. Danke an dieser Stelle an Dich Peter.
Diese Momentaufnahme ist nur ein kleiner Einblick in den Zusammenhalt unseres Vereins mit unserer Partnerstadt Ashkelon. Doch lassen Sie mich noch einmal rauszoomen aus unserem beschaulichen Pankower Ehrenamt und ein größeres Bild zeichnen.
Wir stehen vor einem massiven Problem! Während Menschen immer noch in tiefer Trauer um das vor einem Jahr Geschehene sind, feiern Menschen den Tod, die Angriffe auf den Staat Israel. Synagogen in Berlin werden angegriffen, im Kunst- und Kulturbetrieb herrscht eine absolute antisemitische Verrohung und jüdische Studierende haben Angst in ihre Universitäten zu gehen. Da stellt sich die Frage: wann werden wir anfangen das Problem zu lösen?
Um Antisemitismus Herr zu werden braucht es mehr als nur Lippenbekenntnisse. Es braucht Präventionsarbeit. Es braucht Geld. Geld in Bildung, Geld in Präventionsarbeit und ja, auch Geld in Unterstützungsangebote für Betroffene. Auch sollte man anfangen diesen Betroffenen endlich zuzuhören. Seit Jahren warnen jüdische und antisemitismuskritische Menschen vor dem Erstarken des Antisemitismus. Und seit Jahren wird die Prävention und Unterstützung auf die Zivilgesellschaft ausgelagert.
Daher appelliere ich in diesem Moment an die Politik: es braucht Aufklärung. Es braucht Prävention. Ja, es braucht Geld.
Der Bezirk Pankow zählt zu einem der wichtigsten Bezirke wenn es um jüdischen Leben in Berlin geht. Viele Jüdinnen und Juden haben schon immer in Pankow gelebt. Die bekannteste koschere Fleischerei Berlins befand sich zu DDR Zeiten in Pankow. Jüdische Remigranten kamen nach dem Zweiten Weltkrieg in die DDR – ja auch nach Pankow – um an der Verheißung nach einem besseren deutschen Staat mit aufzubauen.
All diesen Menschen gegenüber haben wir als Zivilgesellschaft, aber auch als Politik eine Verantwortung.
Der 7. Oktober 2023 ist nach wie vor ein Schock. Und dieser Schock sitzt tief. Doch wir, die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft hat das Privileg, was Jüdinnen und Juden momentan nicht haben. Wir können uns abgrenzen. Und diese Abgrenzung können wir nutzen um unsere Kräfte für andere zu sammeln. Um für Jüdinnen und Juden in dieser Stadt zu kämpfen. Um gegen Antisemitismus einzutreten und vor allem um das Andenken der Opfer des 7. Oktober 2023 zu wahren.
Vielen Dank!